4.4.2 Systeme mit freiem Parameter

Am Anfang steht ein Beispiel, das zugegebenermaßen sehr einfach ist, aber dennoch auf einen, wenn nicht den, entscheidenden Punkt im Zusammenhang mit freien Parametern in Systemen linearer Gleichungen hinführen wird:
Beispiel 4.4.1  
Es soll nach der Lösungsmenge für das Lineare Gleichungssystem

Gleichung (1):x-2y=3, Gleichung (2):-2x+4y=α

in Abhängigkeit von dem Parameter α gesucht werden.

Dazu multipliziert man Gleichung  (1) mit dem Faktor 2 durch und addiert Gleichung  (2):

2·(x-2y)+(-2x+4y)=2·3+α2x-4y-2x+4y=6+α0=6+α.



Nun müssen zwei Fälle unterschieden werden:

Fall A: α-6: Ist der vorgegebene freie Parameter α ungleich -6, so stößt man auf einen Widerspruch. In diesem Fall besitzt das Lineare Gleichungssystem keine Lösung, L=.

Fall B: α=-6: Ist der vorgegebene freie Parameter α gleich -6, so ist die Gleichung identisch erfüllt ( 0=0). In der Tat sind in diesem Fall die beiden Ausgangsgleichungen gerade Vielfache voneinander, sodass nur eine von ihnen tatsächlich Information trägt. Dementsprechend ist jetzt die Lösungsmenge unendlich mächtig und kann beispielsweise folgendermaßen angegeben werden: L={(x=3+2t;y=t):t}.
Das Beispiel zeigt, dass das Aussehen der Lösungsmenge sehr stark von der Wahl des freien Parameters abhängen kann.

Ein solcher freier Parameter kann aber nicht nur auf einer der rechten Seiten des Linearen Gleichungssystems auftreten, sondern auch auf den linken Seiten, ja er kann auch mehrfach, in funktionalen Abwandlungen, sowohl links als auch rechts usw. vorkommen. Auch mehrere freie Parameter sind denkbar. Ein etwas komplizierteres Beispiel ist gegeben durch:
Beispiel 4.4.2  
Im Folgenden soll die Lösungsmenge des Linearen Gleichungssystems

x+y+αz = 1, x+αy+z = 1, αx+y+z = 1

studiert werden und zwar in Abhängigkeit von dem Wert des Parameters α.

Dazu löst man beispielsweise die erste Gleichung nach der Unbekannten x auf,

x=1-y-αz  : Gleichung (1'),

und setzt das Ergebnis für x in die zweite und in die dritte Gleichung ein:

(1-y-αz)+αy+z=1-(1-α)y+(1-α)z=0: Gleichung (2'), α(1-y-αz)+y+z=1(1-α)y+(1- α2 )z=1-α: Gleichung (3').

Es entsteht ein System aus zwei linearen Gleichungen in den zwei Unbekannten y und z. Diesem System sieht man sofort an, dass für den Wert α=1 etwas Besonderes passiert. Man führt daher eine Fallunterscheidung durch:

Fall 1: α=1: In diesem Fall sind die beiden Gleichungen  (2') und (3') identisch erfüllt ( 0=0) und liefern keine weiteren Informationen; als einzige Beziehung zwischen den Unbekannten x,y und z verbleibt Gleichung  (1') bzw. Gleichung  (1), die für α=1

x+y+z=1  : Gleichung ( 1 ^ )

lautet. Daher besitzt die Lösungsmenge hier unendlich viele Elemente. Sie kann mit Hilfe zweier freier Parameter angegeben werden, z.B.

L={(s;t;1-s-t):s,t}.

Anschaulich gesprochen entspricht die Lösungsmenge gerade der durch Gleichung  ( 1 ^ ) beschriebenen Ebene.

Fall 2: α1: In diesem Fall kann man sowohl Gleichung  (2') als auch Gleichung  (3') durch (1-α) dividieren; man erhält unter Verwendung der 3. Binomischen Formel ( (1- α2 )=(1-α)(1+α)):

-y+z=0: Gleichung (2''), y+(1+α)z=1: Gleichung (3'').

Gleichung  (2'') besagt, dass y=z gilt; dies setzt man in Gleichung  (3'') ein:

z+(1+α)z=1(2+α)z=1  : Gleichung ().

Jetzt muss man nochmals vorsichtig sein und eine weitere Fallunterscheidung durchführen, da α=-2 und α-2 unterschiedliche Konsequenzen nach sich ziehen:

Fall 2a: α=-2: In diesem (Unter-)Fall lautet Gleichung (): 0=1. Somit tritt ein Widerspruch auf und das Lineare Gleichungssystem, von dem ausgegangen wurde, hat keine Lösung, L=.

Fall 2b: α-2: In diesem (Unter-)Fall kann man die letzte Gleichung problemlos nach z auflösen,

z= 1 2+α .



Damit liegen auch y ( y=z) und x ( x=1-y-αz) fest; das ursprüngliche Lineare Gleichungssystem besitzt eine eindeutige Lösung, L={(x= 1 2+α ;y= 1 2+α ; z= 1 2+α )}.
Im Vorhergehenden wurde das Beispiel auch deshalb so ausführlich ausbuchstabiert, um eindringlich auf die Wichtigkeit einer sauberen und genauen Fallunterscheidung hinzuweisen. Je nachdem, ob α=1, α=-2 oder α{-2;1} gilt, sieht die Lösungsmenge völlig verschieden aus! Im ersten Fall ist sie unendlich mächtig, im zweiten leer und im dritten besteht sie aus genau einem Element!

Übrigens hätte man die Besonderheit des Falles α=1 auch direkt an dem ursprünglichen System ablesen können: Für α=1 tritt dreimal dieselbe Gleichung, nämlich x+y+z=1, auf; d.h. zwei der drei Gleichungen im Ausgangssystem enthalten keinerlei neue Information und sind daher überflüssig; nur die Ebenengleichung x+y+z=1 stellt für α=1 eine Beziehung zwischen den drei Unbekannten her.